Mastodon Mastodon Update: Amazon Go - Supermarkt ohne Kassen vor der Expansion? | Rückenwind für Ihr Geschäft | RetailConsult.de - Michael Borchardt, Frankfurt am Main

Update: Amazon Go - Supermarkt ohne Kassen vor der Expansion?

20161211 Amazon Go

Quelle: Video-Still des Trailers zu Amazon Go 


Seattle, 9.1.2019 - Vielleicht erinnern Sie sich noch an Ihre letzten Einkäufe vor den Weihnachtsfeiertagen oder an Silvester? Während sich die Kassenschlangen in Kaufhäusern, im Textilhandel, in Schuhgeschäften oder ähnlichen Outlets vielerorts in sehr überschaubaren Grenzen hielten, „stapelten“ sich die Kunden an den Supermarktkassen. 

Und als wie nervig empfinden viele von uns inzwischen die leidige Prozedur? 

Erst mühsam alles in den Einkaufswagen packen, dann in die Kassenschlange, warten ohne Ende, anschliessend alle Waren auf’s Band und dann wieder in den Einkaufswagen, damit ans Auto und dann nochmals umpacken. Geht das denn wirklich nicht eleganter? 

Doch - es geht. Neun kassenlose Supermärkte betreibt der Handelsriese Amazon unter dem Label „Amazon Go“ inzwischen in den USA. Und das mag erst der Anfang sein, wie der US-Technikblog recode.net berichtet. Er sieht allein bis 2021 ein Multi-Milliarden-Business für Amazon am Horizont heraufziehen. Einem Bloomberg-Report zufolge, so recode.net, plane Amazon in den nächsten zwei bis drei Jahren die Eröffnung von weiteren 3.000 Amazon Go-Supermärkten. 

Und das lohnt sich in doppeltem Sinne: denn die bisherigen Amazon Go-Supermärkte generieren 50 Prozent mehr Umsatz als ihre traditionell arbeitenden Wettbewerber - der Durchschnittsbon liegt bei 10 US-Dollar. Mit 550 Kunden pro Tag realisiert so jeder der bestehenden Amazon Go-Märkte 1,5 Millionen US-Dollar Umsatz pro Jahr - an rund 273 Verkaufstagen (RBC Capital Markets). 

Unklar scheint recode.net zufolge zum jetzigen Zeitpunkt das künftige Handelsformat zu sein, vulgo: welche Produktschwerpunkte werden in den neuen Amazon Go-Märkten gesetzt? 

Convenienceprodukte à la „Pret A Manger“ oder klassische Handelswaren wie bei Tante Emma, Rewe oder Edeka & Co.? Klar scheint - je näher an Konzepten wie „Pret A Manger“, desto höher mutmasslicher Umsatz und Gewinn. 

Die Rollout-Kosten für die 3.000 neuen Amazon Go-Supermärkte werden von Morgan Stanley auf 3 Milliarden US-Dollar geschätzt. Selbst für Amazon mit einem aktuellen Börsenwert von 797 Milliarden US-Dollar - das teuerste börsennotierte Unternehmen - keine Kleinigkeit. 

Vergessen wir aber nicht - darauf weist Mirjam Hecking im Manager Magazin hin - dass die grossen chinesischen Konkurrenten Amazons ebenfalls schon sehr weit bei der Umsetzung ihrer Offline-Strategie sind:

„Schon 2017 stieg beispielsweise Alibaba für einen Milliardenbetrag bei der chinesischen Supermarktkette Sun Art sowie bei der Elektronikkette Suning ein. Anfang 2018 folgte dann ein weiteres Millioneninvestment in die Möbelkette Easyhome. Insgesamt 10 Milliarden Dollar hat Alibaba sich seine Offlineaktivitäten laut dem "Economist" bislang kosten lassen.

Alibabas Vorzeigeprojekt ist jedoch die Supermarktkette Hema. 2015 gegründet, existieren mittlerweile 46 Läden der Kette in 13 Städten. Weitere 2000 sind offenbar geplant. Neben dem Einkauf frischer Lebensmittel können Kunden sich dort die gekauften Produkte auch direkt zubereiten, innerhalb von 30 Minuten nach Hause liefern lassen und an der Kasse per Gesichtserkennung bezahlen.

Auch Konkurrent Tencent sowie der chinesische Alibaba-Konkurrent JD.com tummeln sich längst im stationären Handel. So unterhält Tecent, Betreiber des in China beliebten Chatdienstes Wechat, zusammen mit Rossmann-Großaktionär A.S. Watson und dem Supermarktkonzern Yonghu mehr als 70 Supermärkte in der chinesischen Provinz Guangdong. Zudem testen die Chinesen zusammen mit der französischen Supermarktkette Carrefour neue 'Smart-Retail'-Technologien wie etwa kassenlose Bezahlsysteme.

Und auch J.D.com hat die Verknüpfung von On- und Offlinehandel für sich entdeckt und zuletzt massiv in das Geschäft mit frischen Lebensmitteln investiert. Medienberichten zufolge will das Unternehmen in den nächsten fünf Jahren seine Supermarktkette 7Fresh um 1000 Läden erweitern.“ 

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Seattle, 10.4.2017 - Vor ein paar Tagen berichtete das Wall Street Journal über technische Probleme im „Supermarkt der Zukunft“, einem Pilotprojekt von Amazon in Seattle.

Clou von Amazon Go soll das kassiererlose Einkaufen und Auschecken sein. Dabei überwachen Kameras und Sensoren, welche Waren die Kunden einkaufen und letztlich mitnehmen. Fast unnötig zu erwähnen, dass parallel hierzu eine ganze Menge an Big Data- und Deep Learning-Prozessen ablaufen. 

Insider berichten jedoch über ein aktuelles Problem - mehr als 20 Leute dürfen sich nicht gleichzeitig im Laden aufhalten oder sollten sich sehr langsam bewegen. Amazon verschiebt die ursprünglich zum zweiten Quartal geplante Eröffnung jetzt auf unbestimmte Zeit. Schon jetzt scheint klar zu sein: mit nurmehr drei Supermarktbeschäftigten (wie ursprünglich geplant) lässt sich die neue Technologie auch künftig wohl nicht betreiben.

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Seattle, 11.12.2016 - Viele von Ihnen kennen die Selbstscan-Kassen in den IKEA-Möbelhäusern - häufig eine gute Idee, um sich die Warterei in den Kassenschlangen zu ersparen. Sie kramen also den Scancode von „Tröndby“, „Naxen“ oder „Tjurf“ irgendwie so hervor, dass Sie ihn mit dem 3D-Handscanner, der an einem viel zu kurzen aber umso störrischeren Kabel an der Zahlstation fixiert ist, abscannen können. 

Naja, so richtig flüssig geht das alles nicht, und ein kleines Bachelorstudium muss man auch schon absolviert haben, bevor der erste erfolgreiche IKEA-Self-Checkout mittels beschriebenem Scan und anschliessendem Zahlvorgang mit EC-Karte und Unterschrift funktioniert.

Wieviel einfacher wäre es doch, wenn Sie sich diesen ganzen aufwendigen Vorgang sparen und einfach mit den Waren, die Sie haben möchten, aus dem Laden spazieren könnten - keine Kasse, weder traditionell noch à la IKEA?

Amazon, unsere Freunde und Förderer der Künstlichen Intelligenz aus Seattle/Washington, haben sich das wohl auch gedacht und sogleich eine (fast) marktfähige Lösung vorgestellt: Amazon Go - der Supermarkt ohne Kassen.

Vier Jahre lang habe man in Seattle an Idee und Lösung des bargeldlosen Einkaufs per Smartphone, Amazon-Konto und spezieller -App „gebastelt“ - und jetzt die Beta-Version eines Amazon Go-Supermarkts eröffnet - vorerst nur für Amazon-Mitarbeiter - ab Frühjahr 2017 dann für alle Interessenten.

Und das Einkaufen ist wirklich verblüffend einfach: Amazon Go-App auf dem Smartphone öffnen (die muss vorab natürlich mit Ihren Amazon-Zugangsdaten „gefüttert“ werden), an der Eingangsschranke damit einchecken. Die App weiss nun, dass Sie mit Ihrem Einkauf beginnen. Nun kaufen Sie ein, wie Sie halt im Supermarkt einkaufen, legen Waren zurück, nehmen stattdessen neue usw. usw. Sie packen alles gleich in Ihre Einkaufstasche, Ihren Rucksack oder was immer Sie auch an Behältnissen dabei haben und gehen schliesslich einfach wieder aus dem Amazon Go-Supermarkt hinaus - fertig. Der Einkaufsbetrag wird Ihrem Amazon-Konto belastet.

Laut Branchendienst Business-Insider plant Amazon in den kommenden zehn Jahren allein in den USA, rund 2.000 dieser Supermärkte zu eröffnen, wobei noch unklar ist, ob alle vom Amazon Go-Typ sein werden. Kein Wunder, der Lebensmitteleinzelhandel in den USA gibt immerhin um die 800 Milliarden Dollar Umsatzpotential pro Jahr her (2015).

Der Einsatz geballter Künstlicher Intelligenz oder Artificial Intelligence (AI) machen die bargeldlose Shopping-Tour erst möglich. Hier setzt auch die Kritik von Datenschützern an: Jeder Griff zu einem Produkt im Regal wird von der Amazon Go-App registriert; der entsprechende Betrag erscheint sofort digital in der Anwendung - ebenfalls wird er beim Zurücklegen der Ware wieder entfernt - Amazon spricht von „virtual cart“, also einem virtuellen Einkaufswagen.

Kann das mit rechten Dingen zugehen?

Ja, sofern die komplette Vermessung der menschlichen Bewegungsabläufe während des Einkaufens als rechtens erachtet wird. Faszinierend und beängstigend zugleich.

Die Kollegen Bastian Brauns und Veronika Völlinger von ZEIT ONLINE am 6.12.2016 dazu:

„Amazon hält sich mit Details bedeckt und spricht eher nebulös von seiner Shopping-Technologie, von Computer Fusion , Deep Learning Algorithms und Sensor Fusion. Was die Schlagwörter bedeuten, erklärt der Konzern nicht. Für die Kunden bedeutet das: Sie werden nicht nur digital erfasst, sondern auch analog komplett vermessen. Details zur Technik, die Amazon in seinem Supermarkt zum Einsatz bringen könnte, lassen sich beim Technologiemagazin Recode finden. Vor etwa einem Jahr veröffentlichte Recode einen Patentantrag von Amazon, in dem das Unternehmen detailliert auflistet, welche Funktionen es patentieren lassen möchte. Inwieweit das allerdings im Amazon-Go-Supermarkt in Seattle bereits umgesetzt wird, ist unklar. 

Vereinfacht kann davon ausgegangen werden, dass ein Zusammenspiel unterschiedlicher Technologien nötig sein würde: Nimmt ein Kunde beispielsweise ein Sandwich aus dem Regal, könnten Kameras das Sandwich erkennen. Sie würden außerdem erkennen, welcher Kunde das Sandwich in der Hand hält und registrieren dann den Kunden und das Produkt und übermitteln die Daten an den individuellen Amazon-Account. Der Kunde könnte aber vielleicht die Verpackung mit seiner Hand verdecken, sodass die Kameras das Produkt nicht eindeutig registrieren können. Dann wüsste das System aber, dass der Kunde oft dieses Sandwich kauft, und es weiß, dass Sandwiches genau an dieser Stelle liegen, an der der Kunde sich eines gegriffen hat.“

Klar, dass Amazon viele Nutzerdaten erheben und mit leistungsfähigen Big Data-Analysetools und -algorithmen be- und verarbeiten muss, um das kassenlose Einkaufen zu ermöglichen. Basis dafür sind die jeweils bereits bekannten Shoppingdaten der einzelnen Kunden, ergänzt durch deren Offline-Einkaufsverhalten und die intelligente Verknüpfung und Aktualisierung dieser Daten. Bewegungsprofile erstellen - oder die Frage beantworten: wie gut bist Du heute drauf? All das dürfte möglich werden. 

ZEIT ONLINE zitiert den früheren Datenschutzbeauftragten Peter Schaar, der seine Besorgnis ob dieser potentiellen Bewegungsprofile äussert. Für Europa und Deutschland sieht er jedoch keine rechtliche Möglichkeit, solche Bewegungsprofile von Nutzern zu erstellen; Kunden müssten hierzu vorab einwilligen. 

Der Gigatrend Concenience wird durch Amazon Go aber alle mal befriedigt; auch in der realen Welt. Und näher auf die Pelle rückt Amazon seinen Kunden so allemal. Dazu nochmals ZEIT ONLINE:

„Was Kunden aber offenbar am meisten schätzen sind Service und Bequemlichkeit. Und Amazon befriedigt dieses Bedürfnis mit immer neuen Ideen. Das Konzept der Amazon Go Lebensmittelläden jedenfalls passt zur konsequenten Strategie des Unternehmens, immer näher an seine Kunden heranzurücken, auch in der analogen Welt. 

Längst werden Lieferungen nicht mehr nur mit der Post oder Paketdiensten gebracht. Mit seinen eigenen Lieferdiensten Amazon Prime oder Amazon Prime Now schickt das Unternehmen inzwischen eigene Kuriere direkt zu seinen Kunden und übergibt die Waren persönlich. Sogenannte Pick-up-Stores plant Amazon ebenfalls. Auch sie sollen bald eröffnen. Kunden können hier ihre bestellte Ware direkt selbst abholen, ebenfalls mit angekündigt nur geringer Wartezeit.“

Alles richtig gemacht, Amazon? Schaun’ wir mal, wie es bei uns in Deutschland damit weitergeht.

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